Vegane Kinderernährung

Text von Markus Keller

BEDEUTUNG EINER GESUNDHEITSFÖRDERNDEN ERNÄHRUNG

Eine bedarfsgerechte und gesundheitsfördernde Ernährung ist eine wichtige Grundlage für Gesundheit und Wohlbefinden. Das gilt insbesondere für die Kinderernährung, denn Art und Zusammensetzung der Kost bestimmen massgeblich das Gedeihen des Kindes. Die richtige Ernährung betrifft jedoch nicht nur Wachstum und Entwicklung des heranwachsenden Menschen, sondern auch den Gesundheitsstatus im späteren Leben. Zum Einen wird das Ernährungsverhalten Erwachsener bereits im Mutterleib und weitgehend in der frühen Kindheit geprägt.[1],[2] Ungünstige Essgewohnheiten und -präferenzen werden meist lebenslang beibehalten und lassen sich später nur schwer verändern. Zum anderen ist bekannt, dass zahlreiche ernährungsassoziierte chronische Krankheiten ihren Anfang bereits im Mutterleib und Kindesalter haben. So zeigen Studien, dass atherosklerotische Veränderungen der Blutgefässe, die Ursache von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bereits bei vielen jüngeren Kindern und bei nahezu allen 15-Jährigen nachweisbar sind.[3],[4]

VORTEILE UND RISIKEN VEGANER KOSTFORMEN

Die präventiven Vorteile einer veganen Ernährung werden durch zahlreiche, teilweise gross angelegte Studien belegt.[5] VeganerInnen sind im Vergleich zu Personen, die sich von Mischkost ernähren, schlanker, weisen niedrigere Blutdruckwerte auf und erkranken deutlich seltener an Diabetes mellitus Typ 2. Auch das Risiko für Übergewicht, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verschiedene Krebsarten ist deutlich geringer als bei der Allgemeinbevölkerung. Diese Vorteile sind teilweise auf die insgesamt gesündere Lebensweise von vegan lebenden Menschen zurückzuführen – so rauchen sie in der Regel nicht und sind körperlich aktiver –, aber überwiegend durch die Ernährungsweise bedingt. Insbesondere der höhere Verzehr gesundheitsfördernder pflanzlicher Lebensmittel, aber auch das Meiden von Fleisch und Fleischwaren, sind dafür verantwortlich.

Pflanzlich geprägte Ernährungsmuster führen dazu, dass VeganerInnen die Ernährungsempfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften deutlich besser umsetzen als die Allgemeinbevölkerung: Ähnlich wie Lakto-Ovo-VegetarierInnen nehmen auch VeganerInnen weniger Nahrungsenergie, Fett, gesättigte Fettsäuren, Cholesterin und Protein auf als MischköstlerInnen, dafür ist die Zufuhr von Kohlenhydraten und Ballaststoffen höher. Die Ernährungsweise von VeganerInnen kommt den Empfehlungen für Nahrungsenergie und Hauptnährstoffe am nächsten.[5]

VeganerInnen sind mit zahlreichen Vitaminen, Mineralstoffen und bioaktiven Substanzen besser versorgt als die Allgemeinbevölkerung. Das gilt besonders für die antioxidativen Vitamine C und E, für Beta-Carotin, Vitamin B1, Folat (Folsäure), Biotin, Pantothensäure und Magnesium. Auch die Zufuhr von sekundären Pflanzenstoffen ist bei VeganerInnenn deutlich höher als bei MischköstlerInnen.

SEKUNDÄRE PFLANZENSTOFFE

Sekundäre Pflanzenstoffe sind Substanzen, die – anders als die primären Pflanzenprodukte, wie Kohlenhydrate, Proteine und Fette, – im Sekundärstoffwechsel der Pflanzen gebildet werden. Der Begriff bezeichnet eine Vielzahl von Substanzen mit sehr unterschiedlichen Strukturen. Sekundäre Pflanzenstoffe erfüllen in der Pflanze Aufgaben als Abwehrstoffe, Duft-, Geschmacks- und Farbstoffe sowie als Wachstumsregulatoren. In der Natur sind bislang rund 100.000 dieser Verbindungen bekannt, wovon etwa 10.000 in der menschlichen Nahrung vorkommen. Aufgrund ihrer chemischen Struktur und funktionellen Eigenschaften werden die sekundären Pflanzenstoffe in verschiedene Gruppen eingeteilt (z.B. Carotinoide, Phytosterine, Polyphenole, Monoterpene, Phytoöstrogene). Mit einer gemischten Kost werden schätzungsweise 1.5 Gramm sekundäre Pflanzenstoffe pro Tag aufgenommen. Sie entfalten beim Menschen zahlreiche gesundheitsfördernde Wirkungen, etwa durch ihre antioxidativen, antimikrobiellen, entzündungshemmenden oder antikanzerogenen Eigenschaften. So können sekundäre Pflanzenstoffe beispielsweise zur Senkung des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie verschiedene Krebsarten beitragen.

Bei veganer Ernährung gibt es jedoch eine Reihe von potentiell kritischen Nährstoffen, bei denen die Zufuhr nicht immer den Empfehlungen entspricht. Hierzu zählen Vitamin B12, Eisen, Jod, Vitamin D, Zink, Omega-3-Fettsäuren, Kalzium und Vitamin B2.[5] Jod und Vitamin D sind auch bei der Gesamtbevölkerung sowie Kalzium bei bestimmten Bevölkerungsgruppen – v.a. Kinder, Jugendliche, ältere Menschen – als kritische Nährstoffe einzustufen. VeganerInnen sind mit diesen drei Nährstoffen jedoch aufgrund des Meidens von Milchprodukten durchschnittlich noch schlechter versorgt. Bei veganer Ernährung muss somit – besonders im Kindesalter – auf eine ausreichende Versorgung mit den genannten kritischen Nährstoffen geachtet werden.

WISSENSCHAFTLICHE BEWERTUNG DER VEGANEN ERNÄHRUNG VON KINDERN

Viele vegan lebenden Eltern möchten auch ihre Kinder rein pflanzlich ernähren. Dies erfordert ausreichendes Ernährungswissen – was unabhängig von der Ernährungsweise von Vorteil ist – und eine gut geplante Zusammenstellung der Kost. Ist beides gegeben, können die gesundheitlichen Vorteile einer pflanzlichen Ernährungsweise voll genutzt und potentielle Risiken vermieden werden.

In ihrem Positionspapier zur vegetarischen Ernährung stellt die American Dietetic Association fest, dass „gut geplante vegetarische Ernährungsformen, einschliesslich komplett vegetarischer oder veganer Ernährungsformen, gesund und ernährungsphysiologisch bedarfsgerecht sind sowie gesundheitliche Vorteile in der Prävention und der Behandlung bestimmter Krankheiten bieten. Gut geplante vegetarische Ernährungsformen sind für Menschen aller Lebensphasen geeignet, einschliesslich Schwangere, Stillende, Kleinkinder, Kinder und Jugendliche sowie Sportler.“.[6]

Nach Einschätzung der American Academy of Pediatrics „zeigen Kinder bei den meisten lakto-ovo-vegetarischen und veganen Kostformen ein gutes Wachstum und Gedeihen, wenn diese gut geplant und angemessen supplementiert werden“.[7]

Bisher gibt es nur wenige Studien mit vegan ernährten Kindern. Bei makrobiotisch-vegan ernährten Kleinkindern wurden in der Vergangenheit Wachstums- und Entwicklungsstörungen sowie zahlreiche Ernährungsmängel beobachtet.[8] Die wenigen vorliegenden Daten zu vegan, nicht makrobiotisch ernährten Kindern zeigen, dass diese meist kleiner und leichter als ihre omnivoren Altersgenossen sind, ihre Werte jedoch im Normalbereich der Referenzstandards für die jeweilige Altersgruppe liegen.[9],[10]

Während eine Mischkost bei Kindern und Jugendlichen oft zuviel Nahrungsenergie, Protein, Fett und gesättigte Fettsäuren enthält, entspricht die Kost von vegetarisch ernährten Kindern und Jugendlichen eher den Empfehlungen.[11],[12] Jugendliche mit überwiegend pflanzlicher Ernährung haben im Vergleich zu MischköstlerInnen der gleichen Altersgruppen einen niedrigeren Body Mass Index (BMI) sowie günstigere Werte für weitere kardiovaskuläre Risikomarker. Hierzu zählen beispielsweise ein geringerer Hüftumfang und eine niedrigere LDL-Cholesterin-Konzentration im Blut. Beides reduziert das Risiko, im späteren Leben Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln.[13]

Bei Auffälligkeiten in der körperlichen und geistigen Entwicklung vegan ernährter Kinder sollte – wie bei allen Kindern – ein Arzt aufgesucht sowie der Nährstoffstatus überprüft werden.

Die folgenden Ausführungen geben allgemeine Hinweise zur veganen Ernährung von Stillenden und Kindern, mit besonderem Fokus auf potentiell kritische Nährstoffe. Konkrete Ernährungspläne für die vegane Kinderernährung finden sich in der weiterführenden Literatur, die allerdings meist englischsprachig ist.

Stillen

Muttermilch ist die beste Nahrung für den Säugling während der ersten vier bis sechs Monate. Entsprechend empfiehlt die Nationale Stillkommission in Deutschland, in Anlehnung an die WHO, möglichst sechs Monate ausschließlich zu stillen. Auch eine kürzere Stilldauer wird für sehr sinnvoll gehalten, wenn sechsmonatiges ausschließliches Stillen für Mütter nicht durchführbar ist.[14] Der komplexe Gehalt an Nährstoffen sowie das Verhältnis von Nährstoffen und Wasser sind den Wachstumsbedürfnissen und Stoffwechselanforderungen des Kindes optimal angepasst. Stillen versorgt den Säugling mit Immun- und Abwehrstoffen, begünstigt die Ausformung des Kiefers und befriedigt das Bedürfnis nach Nähe und Hautkontakt. Studien zeigen, dass gestillte Kinder ein geringeres Risiko für Krankheiten des Verdauungstraktes und der Atemwege, Übergewicht, Diabetes Typ 1 und 2, Bluthochdruck und Zöliakie sowie möglicherweise für kindliche Krebserkrankungen aufweisen. Ausserdem sinkt das Risiko, eine Allergie zu entwickeln.[15],[16],[17]

Die Zusammensetzung der Muttermilch hängt von genetischen Faktoren, der Ernährung der Mutter vor und während der Stillzeit und somit den mütterlichen Nährstoffreserven ab. Bei zahlreichen Nährstoffen steigt der Bedarf während der Stillzeit und liegt meist noch höher als während der Schwangerschaft. Die Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr, beispielsweise der DACH[18]-Gesellschaften, gelten auch für vegan lebende Mütter. Der erhöhte Bedarf an Vitamin A – bzw. Beta-Carotin, das mit dem Provitamin A identisch ist –, E, B1, C und Folat (Folsäure) sowie Magnesium kann von Veganerinnen bei entsprechender Lebensmittelauswahl problemlos gedeckt werden; sie sind meist besser damit versorgt als Mütter, die sich mit Mischkost ernähren.

Auch der Mehrbedarf an Nahrungsenergie von etwa zusätzlich 500-600 Kilokalorien pro Tag sowie von Protein, rund 30 Prozent mehr, kann mit veganer Ernährung ausreichend gedeckt werden. Allerdings wurden bei einigen Veganerinnen niedrige Proteinzufuhren beobachtet.[5] Es ist sinnvoll, eine Kombination verschiedener pflanzlicher Proteinträger über den Tag zu verteilen, um die biologische Wertigkeit und damit die Nutzbarkeit des Nahrungsproteins für den Organismus zu erhöhen.

Vegane Mütter müssen auf eine ausreichende und sichere Zufuhr von Vitamin B12 achten. Empfehlenswert ist der Verzehr von mit Vitamin B12 angereicherten Lebensmitteln, sodass pro Tag 3-4 Mikrogramm Vitamin B12 aufgenommen werden. Wird der Bedarf über Supplemente gedeckt, sollten täglich 10 Mikrogramm Vitamin B12 aufgenommen werden. Bei voll gestillten Säuglingen von veganen Müttern, die unzureichend mit Vitamin B12 versorgt waren, wurden schwere Wachstums- und Entwicklungsstörungen beobachtet.[19],[20],[21] Aufgrund der begrenzten Körperreserven nach der Geburt sollte auch der gestillte Säugling ein Vitamin B12-Supplement  erhalten, z.B. Tropfen.[22]

Den Bedarf an Vitamin D können stillende Veganerinnen bei ausreichendem Aufenthalt im Freien durch die körpereigene Synthese decken. Diese Möglichkeit ist in den nördlichen Breitengraden allerdings in den Wintermonaten zwischen Oktober und  März deutlich eingeschränkt bzw. kommt

zum Erliegen. Unabhängig von der Ernährungsform empfehlen die DACH[18]-Gesellschaften deshalb bei eingeschränkter Eigensynthese eine tägliche Supplementierung von 20 Mikrogramm Vitamin D. Da Muttermilch nur geringe Mengen an Vitamin D enthält, wird für Säuglinge und Kleinkinder im ersten Lebensjahr eine tägliche Vitamin-D-Supplementierung von 10 Mikrogramm empfohlen.[5]

Vitamin D2 versus Vitamin D3

Die meisten Vitamin-D-Präparate enthalten Vitamin D3, das aus Lanolin, also Wollfett,  gewonnen wird. Zahlreiche – aber nicht alle – Studien weisen darauf hin, dass pflanzliches Vitamin D2 eine deutlich geringere Wirksamkeit aufweist als Vitamin D3.[23],[24] Mittlerweile sind jedoch auch vegane Vitamin-D3-Präparate auf dem Markt, die aus Flechten gewonnen werden.

Die Muttermilch von Veganerinnen enthält deutlich mehr der essentiellen Fettsäuren Linolsäure und Alpha-Linolensäure als die von Mischköstlerinnen. Der Anteil der langkettigen Omega-3-Fettsäure Docosahexaensäure (DHA) liegt hingegen deutlich niedriger. DHA ist wichtig für die Entwicklung von Gehirn und Netzhaut des Säuglings, weshalb sie auch als bedingt essentiell eingestuft wird. Zwar kann DHA aus der pflanzlichen Omega-3-Fettsäure Alpha-Linolensäure gebildet werden, die Umwandlungsrate ist jedoch sehr gering. Studien haben zudem gezeigt, dass eine Supplementierung mit Alpha-Linolensäure offenbar den DHA-Gehalt in der Muttermilch nicht verbessert.[25],[26] Für stillende Veganerinnen kann deshalb die Einnahme eines DHA-haltigen Produkts, beispielweise in Form von Mikroalgenöl, sinnvoll sein.

Der Bedarf an Eisen erhöht sich kaum durch das Stillen, da mit der Muttermilch nur relativ wenig Eisen abgegeben wird. Um die Eisenverluste während Schwangerschaft und Geburt auszugleichen, wird jedoch eine Eisenzufuhr von 20 Milligramm pro Tag empfohlen. Diese Menge kann prinzipiell auch mit veganer Ernährung erreicht werden. Unabhängig von der Ernährungsweise weisen viele Frauen Eisenwerte unterhalb des Referenzbereichs auf. Insbesondere Veganerinnen sollten deshalb ausreichend eisenreiche Lebensmittel, kombiniert mit Vitamin-C-reichen Lebensmitteln verzehren. So kann die Eisenverfügbarkeit aus pflanzlichen Lebensmitteln deutlich verbessert werden.

Die Empfehlungen zur Kalziumzufuhr für stillende Veganerinnen entsprechen denen anderer Erwachsener, also 1.000 Milligramm pro Tag. Viele Veganerinnen nehmen sehr geringe Mengen an Kalzium auf, wodurch sich das Osteoporose-Risiko erhöht. Vegan lebende Stillende sollten deshalb auf eine ausreichende Zufuhr kalziumreicher Lebensmittel, wie Sesam oder Sesammus, Nüsse, „Sojafleisch“, Grünkohl, Spinat, Kichererbsen oder kalziumreiche Mineralwässer mit über 150 Milligramm Kalzium pro Liter, achten. Auch mit Kalzium angereicherte Pflanzenmilchprodukte, wie z.B. Hafermilch, Sojamilch oder Sojajoghurt, können die Kalziumversorgung verbessern.

Jod ist, neben anderen Funktionen, unentbehrlich für die organische und funktionelle Gehirnentwicklung des Säuglings. Die Jodversorgung der Mutter bestimmt den Jodgehalt der Muttermilch. Studien zeigen, dass in der Schweiz – wie auch in anderen Jodmangelgebieten Europas – der durchschnittliche Jodgehalt der Muttermilch deutlich niedriger liegt als für die optimale Versorgung des Säuglings notwendig wäre.[27] Die Jodversorgung von Veganern ist meist deutlich schlechter als die von Mischköstlern oder Lakto-Ovo-Vegetariern.[28],[29] Zur Verbesserung der Jodversorgung wird deshalb die ausschliessliche Verwendung von jodiertem Speise- oder Meersalz empfohlen. Bei verarbeiteten Lebensmitteln, wie Brot, Backwaren und Fleischalternativen, sollten ebenfalls Produkte bevorzugt werden, bei deren Herstellung Jodsalz verwendet wurde. Auch der gelegentliche Verzehr von Algen mit moderatem Jodgehalt, wie z.B. Nori, kann den Jodstatus verbessern. Ist die Jodversorgung dennoch unzureichend, sollten Jodsupplemente verwendet werden.

Der Bedarf an Vitamin B2 und Vitamin B6 erhöht sich während der Stillzeit. Da Veganerinnen in Studien teilweise nicht optimal mit den beiden Vitaminen versorgt waren, sollte besonders während der Stillzeit auf eine ausreichende Zufuhr über pflanzliche Lebensmittel geachtet werden. Gute Quellen für Vitamin B2 sind beispielsweise Nüsse, Pilze, Ölsamen, Hülsenfrüchte und Vollgetreide. Vitamin B6 ist u.a. in Walnüssen, Vollgetreide, Avocado, Bananen, Möhren und Kartoffeln enthalten.

Beikost

Frühestens ab dem fünften, spätestens ab dem siebten Lebensmonat wird die Einführung von Beikost erforderlich, um den Nährstoffbedarf des Kindes zu decken. Wie bei nichtveganer Beikost sollte auch vegane Beikost eine hohe Energie- und Nährstoffdichte sowie einen niedrigen Ballaststoffanteil aufweisen. Da Kleinkinder aufgrund ihrer Magengröße nur eine begrenzte Menge an Nahrung aufnehmen können, wird bei einer sehr ballaststoffreichen Kost zu wenig Nahrungsenergie zugeführt. (Helle) Getreideprodukte, Nüsse und Hülsenfrüchte können den Energie- und Proteingehalt erhöhen, die Zugabe von pflanzlichen Ölen bzw. Fetten in Form von z.B. Avocado oder Nussmus liefert zusätzliche Energie.

Nach dem Abstillen benötigt das Kind eine zuverlässige Quelle für Vitamin B12. Geeignet sind angereicherte Lebensmittel oder Supplemente, die 1 Mikrogramm Vitamin B12 pro Tag liefern.

Vitamin D ist notwendig für eine ausreichende Kalziumaufnahme und damit für die Knochenbildung. War die Vitamin-D-Versorgung im Säuglingsalter ausreichend, kommt es bei Kleinkindern nur selten zu Rachitis.[18] Da die körpereigene Vitamin-D-Synthese ausserhalb der sonnenreichen Monate unzureichend ist, wird auch für Kleinkinder empfohlen, in den Wintermonaten von etwa Oktober bis März Vitamin D zu supplementieren und zwar 10 Mikrogramm pro Tag. Dies gilt unabhängig von der Ernährungsweise.

Muttermilch enthält nur wenig Eisen. Der Säugling ist daher während der ersten Lebensmonate weitgehend von den eigenen Eisenreserven abhängig, die er während des fetalen Wachstums bilden konnte. Nach dem Abstillen sind die Eisenreserven des Säuglings – unabhängig von der Ernährungsform der Mutter – weitgehend erschöpft. Mit der Einführung von Beikost sollte deshalb auf eine ausreichend Zufuhr eisenreicher Lebensmittel, kombiniert mit Vitamin-C-reichen Lebensmitteln geachtet werden. Durch Vitamin C kann die Resorption von pflanzlichem Eisen aus dem Darm deutlich verbessert werden. Auch die Verwendung von mit Eisen angereicherten Getreideprodukten, wie Frühstücksflocken für Kinder, ist empfehlenswert.

Bei veganer Beikost sollte ausserdem auf eine ausreichende Zufuhr von Kalzium, Zink, Jod, Vitamin B2 und der Omega-3-Fettsäure Alpha-Linolensäure geachtet werden.

Klein- und Vorschulkinder (1-5 Jahre)

Im Kleinkind- und Vorschulalter wird das Ernährungsverhalten des Kindes massgeblich geprägt. Entsprechend sollte dem Kind eine grosse Bandbreite gesundheitsfördernder pflanzlicher Lebensmittel angeboten werden, um eine gesunde Ernährungsweise zu etablieren.

Bei Klein- und Vorschulkindern ist der Energie- und Nährstoffbedarf bezogen auf das Körpergewicht noch etwas erhöht, jedoch in geringerem Ausmass als beim Säugling. Neben einer sicheren Vitamin B12-Versorgung durch angereicherte Lebensmittel und/oder Supplemente sollte auf eine ausreichende Zufuhr an Nahrungsenergie und Protein geachtet werden. Empfehlenswert ist eine Kost mit hoher Energie- und Nährstoffdichte sowie moderatem Ballaststoffgehalt. Aufgrund des Aminosäuremusters sowie der geringeren Verdaulichkeit pflanzlicher Proteine wird vorgeschlagen, die Proteinzufuhr für vegan ernährte Kinder im Alter von bis zu zwei Jahren um etwa ein Drittel und für Kinder zwischen zwei und sechs Jahren um etwa ein Viertel zu erhöhen, gegenüber den Zufuhrempfehlungen für omnivore Kinder.[30] Ausserdem sollte eine ausreichende Versorgung mit Kalzium, Eisen, Zink, Jod, Vitamin B2, Vitamin D – im Winter Supplemente – und Omega-3-Fettsäuren sichergestellt werden.

 

Proteinzufuhr und Übergewicht

Die DONALD-Studie zeigte, dass eine hohe Zufuhr von tierischem Protein, insbesondere aus Milchprodukten, im Alter von 12 Monaten das Risiko erhöhte, mit sieben Jahren einen höheren BMI und Körperfettanteil aufzuweisen.[31]

Fazit

Eine vegane Ernährung ist in allen Lebensphasen, einschliesslich Stillzeit und Kindheit, möglich und bietet bei richtiger Durchführung zahlreiche gesundheitliche Vorteile. Wichtige Voraussetzung ist die Verwendung einer breiten Vielfalt von pflanzlichen Lebensmitteln. Eltern sollten sich von einer kompetenten Ernährungsfachkraft beraten lassen, um eine optimale Nährstoffversorgung ihres Kindes sicherzustellen und mögliche Mängel zu vermeiden!

Die wichtigsten Fakten:

  • Eine ausreichende Versorgung mit Vitamin B12 sollte durch angereicherte Lebensmittel und/oder Supplemente sichergestellt werden. Eine regelmässige Überprüfung des Vitamin B12-Status ist empfehlenswert; mindestens einmal pro Jahr sollten die Blutwerte von Vitamin B12, Holo-Transcobalamin und Homocystein gemessen werden.
  • Während der Stillzeit und in allen Kindheitsphasen sollte auf eine ausreichende Zufuhr von Nahrungsenergie und Protein sowie der potentiell kritischen Nährstoffe Eisen, Zink, Kalzium, Jod, Vitamin B2 und Omega-3-Fettsäuren geachtet werden. Empfehlenswert ist die Verwendung von Nährstoff-Tabellen. Sie zeigen, in welchen Lebensmitteln die relevanten Nährstoffe besonders reichlich vorkommen.
  • Die Versorgung mit Vitamin D sollte – unabhängig von der Ernährungsweise – in den sonnenreichen Monaten durch regelmässige Aufenthalte im Freien und im Winter, etwa von Oktober bis März, durch Supplementierung sichergestellt werden.
  • Bei allen potentiell kritischen Nährstoffen ist es sinnvoll, die Versorgung durch Messung

Weiterführende Literatur

Hood S: Feeding Your Vegan Infant with Confidence: a practical guide from pre-conception through to pre-school, 98 p. The Vegan Society, St. Leonards-on-Sea, 2005

Mangels R: Feeding Vegan Kids (www.vrg.org/nutshell/kids.htm) (abgerufen 13.03.2012)

Mangels R, Kavanagh-Prochaska K: Vegan Nutrition in Pregnancy and Childhood (www.vrg.org/nutrition/pregnancy.htm) (Links abgerufen 13.03.2012)

Referenzen:

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Zu Markus Keller

Dr. Markus Keller, Ernährungswissenschaftler, ist Autor verschiedener Fachbücher, zuletzt „Vegetarische Ernährung“ (Ulmer Verlag 2010), zusammen mit Prof. Claus Leitzmann. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit sind die Themen alternative Ernährungsformen, Vegetarismus sowie nachhaltige Ernährung. Er ist Gründer und Leiter des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung (IFANE, www.ifane.org) und leitet seit 2011 die Abteilung Wissenschaft und Forschung beim Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung e.V. (UGB, www.ugb.de).

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