Von wegen Trenderscheinung – Vegan ist ein uraltes Konzept
Sich pflanzlich zu ernähren war noch nie so präsent wie in diesem Jahr. Wusstest du aber, dass das Konzept Veganismus schon lange existiert? Der Dichter und Philosoph Abu l-’Ala al-Ma’arri beschäftigte sich bereits im 11. Jahrhundert damit. Gastbloggerin Alma Pfeifer hat sich das Leben dieses Vorreiters genauer angeschaut.
973 in der nordsyrischen Stadt Ma’arrat geboren, musste Al Ma’arri schon früh lernen, was es bedeutet, ein Aussenseiter zu sein. Mit vier Jahren verlor er wegen einer Pockenerkrankung sein Augenlicht und lebte fortan in Dunkelheit. Obwohl er seine Blindheit als Gefängnis beschrieb, sah er darin auch eine Zuflucht, die ihn vor den Gräueln der äusseren Welt verschonte. Was ihm in der sichtbaren Welt verwehrt blieb, lebte er in seinem Inneren umso lebhafter aus: Bereits mit 14 Jahren begann er, seine Gedanken in Gedichten auszudrücken. Später studierte er in Aleppo islamische Religion, Sprachwissenschaft sowie Literatur.
Vegan lange bevor es das Wort «vegan» gab
Vegan zu leben, sah er als natürliche Folge vernünftigen Denkens und Handelns. Während seiner letzten 50 Jahre lebte er als Veganer. In einer Gesellschaft, in der das Essen von Fleisch einen hohen Stellenwert besass, stand Al Ma’arri mit seiner Haltung weitgehend alleine da. Eines seiner bekanntesten Gedichte erzählt von dieser Haltung:
Nicht länger stehle ich von der Natur
Ihr seid erkrankt in Eurem Verständnis und Eurer Religion.
Kommt zu mir,
dass Ihr etwas Wahrhaftiges vernehmt.
Esst nicht den Fisch, der das Wasser ausgespien, und hungert nicht
nach dem Fleisch geschlachteter Tiere als Nahrung,
nicht nach der weißen Milch von Müttern, die die pure Flüssigkeit
ihren Jungen und nicht noblen Damen gedachten.
Verärgert nicht die harmlosen Vögel indem Ihr ihnen die Eier stehlt;
denn Ungerechtigkeit ist das Schlimmste aller Vergehen.
Nehmt nicht den Honig, den die Bienen mit Mühe
von den Blumen und den duftenden Pflanzen sammeln;
sie trugen ihn nicht zusammen damit er für andere sei,
auch haben sie ihn nicht als Gabe und Geschenk gesammelt.
Ich habe meine Hände von all diesem reingewaschen; und wünschte, dass ich
meinen Weg erkannt hätte, bevor mein Haar nun ergraut ist!
Vernunft steht über allem
Mit 30 Jahren führte ihn sein Wissensdurst nach Bagdad, damals kulturelle Hochburg und Zentrum für Kunst, Wissenschaft und Forschung. Dort beschäftigte er sich 18 Monate lang mit den drei Weltreligionen und kam zum Schluss, dass keine Religion die absolute Wahrheit für sich behaupten kann. Er äusserte sich skeptisch gegenüber ihnen allen und rief zu mehr Toleranz und Verständnis unter ihnen auf. Unkritischer Gehorsam gegenüber religiösen Würdenträgern und Politikern und der allgemein herrschende Machtmissbrauch damaliger Führer missfielen ihm zutiefst. Er strebte nach Wahrheit und pries die Vernunft als «Das höchste Prinzip alles rechten Tuns». Religiöse Gebote sah er als Manipulationsinstrumente. In seinen Gedichten schrieb er immer wieder gegen politische und gesellschaftliche Heuchelei seiner Gesellschaft an.
Von Himmel und Hölle
Ruhm und Geld waren ihm, der sein Leben lang in asketischen Verhältnissen lebte, unsympathisch. Er verweigerte stets, seine Werke zu verkaufen und lebte, nachdem er 1010 von Bagdad in seine Heimat zurückkehrte, abgeschieden in seinem Haus. Trotz seiner selbst gewählten Isoliertheit pflegte Al Ma’arri, der nie verheiratet war, regen Kontakt zu anderen Künstler*innen, Student*innen und Wissenschaftler*innen aus dem Ausland. Sie alle hegten grossen Respekt vor ihm und seinen Werken. In einer seiner berühmtesten Schriften beschrieb er auf sarkastische Weise das Konzept von Himmel und Hölle, 300 Jahre vor Dantes Himmlischer Komödie, und verärgerte damit die gläubigen Muslime seiner Zeit. Er mokierte sich über das Bild des Paradieses, das im muslimischen Glauben vorherrscht und das schon Tausende islamgläubige Selbstmordattentäter dazu verführte, ihr Leben für dieses Paradies zu opfern. Auch heute ist Al Ma‘arri noch immer vielen islamischen Extremisten ein Dorn im Auge.
Vorreiter und Vorbild
Al Ma‘arris stiller, aber konsequenter Kampf für Gerechtigkeit unter den Menschen und für das Wohl der Tiere, sein Aufruf gegen blinden Gehorsam und die Kritik an den Doktrinen der Weltreligionen, sind bemerkenswert und nachahmungswürdig. Liest man seine zahlreichen Gedichte, fällt es bisweilen schwer zu glauben, dass dieses wertvolle Gedankengut wirklich schon über 1000 Jahre alt sein soll.
Mit freundlicher Genehmigung vom Magazin «Vegan für mich», wo der Artikel erstmals erschien. Der Text über Al Ma’arri ist der erste einer dreiteiligen Serie über vegane Pioniere.
Veganismus = Asketismus?
Wie Al Ma’arri ist es das Grundanliegen unseres Vereins, dass Bienen den Nektar nicht umsonst gesammelt haben, dass Kühen ihre Kälber nicht entzogen und Vögel nicht verärgert werden. Veganismus hat aber längst nichts mehr mit Asketismus zu tun. Die Vegane Gesellschaft Schweiz setzt sich seit rund 8 Jahren dafür ein, dass ein veganer Lifestyle in der Schweiz als cool, gesund und sowohl ökologisch als auch ethisch als bestmögliche Lebensweise wahrgenommen wird.
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