16. Januar 2019

Buch-Rezension «Vegan Klischee Ade!»

Vergangenen Herbst hat in der veganen Community ein Buch die Runde gemacht. Liefert es wirklich, was es verspricht? Miriam vom Team der Veganen Gesellschaft Schweiz hat es für euch gelesen und das Wichtigste rausgeschrieben. 

Wahlberliner Niko Rittenau setzt sich in seinem Buch «Vegan-Klischee ade!» mit Mythen um die vegane Lebensweise auseinander. Verständlich und interessant schreibt er, an welchen etwas dran ist.

Zuerst werden die Empfehlungen von Ernährungsgesellschaften weltweit zur veganen Ernährung beleuchtet, dann befasst sich Rittenau mit spezifischen Aspekten der veganen Ernährung wie die Versorgung mit Protein und Nährstoffen. Danach geht er ausführlich auf die «fünf wichtigsten Lebensmittelgruppen der veganen Ernährung» ein und gibt Empfehlungen zur Zusammensetzung einer ausgewogenen Kost. Ein letztes Kapitel befasst sich intensiv mit dem Sojakonsum und den sich darum rankenden Mythen und zeigt auf, dass ein moderater Sojakonsum für Menschen allen Alters und aller Ernährungsformen – ausgenommen Sojaallergiker*innen – als positiv einzuschätzen sei. Jedes Kapitel bietet am Ende eine kleine übersichtliche Zusammenfassung der wichtigsten Vorurteile zum Thema in Tabellenform. Wer sich detaillierter in die Thematik einlesen möchte, findet im Anhang ein extensives Quellenverzeichnis mit allen von Rittenau verwendeten wissenschaftlichen Studien.

Woher stammen die Vorurteile?

Eine wichtige Erkenntnis, die im Buch mehrfach betont wird, ist der Mangel an Ernährungsstudien mit vegan lebenden Personen. Entweder sind die Personengruppen viel zu klein, um statistisch repräsentativ zu sein, oder die Studiendesigns leiden an einer ungenauen Definition der untersuchten veganen Kost. Die Kost vegan lebender Personen kann sich stark unterscheiden. Rittenau schreibt auf S. 18 in der Einleitung dazu: «Dies führt dazu, dass zum einen eventuell die negativen Effekte einer veganen Junkfood-Ernährung durch die gesundheitsmotivierten Veganer in der gleichen Gruppe relativiert werden, und zum anderen dazu, dass die Junkfood-Veganer in der Gruppe die gesundheitlichen Vorteile der vollwertigen Ernährung der gesundheitsbewussten Veganer relativieren.» Er empfiehlt weiter, dass «in zukünftigen Studien [..] nicht nur zwischen vegan, vegetarisch und mischköstlich unterschieden werden, sondern auch differenziert werden [sollte], welche Qualität von veganer Ernährung die Teilnehmer praktizieren.» (S. 18).

Verfälschte Studien

Ein weiteres Problem sei überraschenderweise, dass sich Studien hinsichtlich ihrer Resultate unterscheiden, je nachdem ob Mischköstler*innen einer veganen Ernährung ausgesetzt werden, oder ob bereits vegan lebende Personen als Untersuchungsgruppe eingesetzt werden.

Als Beispiel hierzu dienen Untersuchungen zum wichtigen Mineralstoff Eisen. Eisen ist in unserer Nahrung in zwei Formen verfügbar: als Hämeisen in Tierprodukten und als Nicht-Hämeisen in pflanzlichen Quellen. Aus bisherigen Erkenntnissen gehen Ernährungsgesellschaften weltweit davon aus, dass Nicht-Hämeisen etwa halb so gut vom Körper verwertet werden kann wie Hämeisen. So liegt die Eisenzufuhrempfehlung für vegan lebende Personen in vielen Fällen doppelt so hoch. Problematisch ist dies deswegen, weil Studien, die die Verwertbarkeit von Nicht-Hämeisen untersuchten, in den meisten Fällen Mischköstler*innen und/oder Vegetarier*innen temporär auf eine rein pflanzliche Kost umstellten. Rittenau erwähnt allerdings neuere Studien, deren Erkenntnisse darauf hinweisen, dass sich der Körper eines Menschen auf eine Umstellung der Eisenzufuhr von Hämeisen auf Nicht-Hämeisen anpassen kann. Dies führt dazu, dass der Körper vegan lebender Personen nach einiger Zeit die Aufnahmerate von Nicht-Hämeisen erhöhen und gleichzeitig die Verlustrate durch die Ausscheidungen reduzieren kann. Zudem spiele eine Rolle, dass vegan lebende Personen durch ihre tendenziell höheren Vitamin-C-Aufnahme einen Vorteil bei der Verwertung von Eisen haben, da Vitamin C dem Körper bei der Aufnahme von Eisen hilft.

Der Körper verändert sich nach der Ernährungsumstellung

Studien, die die Eisenversorgung von vegan lebenden Personen untersuchen wollen, müssten also – gemäss Rittenau – auf Personengruppen zurückgreifen, die sich bereits seit einigen Monaten pflanzlich ernähren. Ansonsten kann der noch nicht erfolgte Umstellungsprozess die Ergebnisse verfälschen. Dies erklärt auch, warum in gross angelegten Durchschnittsstudien die Häufigkeit von Eisenmangel oft in allen Personengruppen unabhängig von der Ernährungsweise ähnlich ist, oder Studien mit langjährig vegan lebenden Personen diesen oft überraschend adäquate Eisenwerte nachweisen.

Ähnliche Problematiken finden sich gemäss Rittenau in der Zinkversorgung und bei der Omega-3-Problematik: In beiden Fällen deuten neuere Untersuchungen darauf hin, dass vegan lebende Personen nach einer gewissen Zeit Zink aus der pflanzlichen Kost besser vertwerten beziehungsweise Alpha-Linolensäure (ALA) besser zu den Omega-3-Fettsäuren (EPA und DHA) umwandeln. Diese Umstellung des Körpers setzt aber erst nach einiger Zeit ein, weswegen über einige wenige Wochen angelegte Studien mit Mischköstler*innen, denen temporär eine rein pflanzliche Kost zugeführt wird, die Ergebnisse verfälschen kann.

Fazit zum Buch

Das Buch überzeugt durch die umfassende, undogmatische und wissenschaftlich relevante Herangehensweise an die vegane Ernährung. Rittenau scheut sich nicht, die Lücken einer rein pflanzlichen Ernährung, wie das Vitamin B12, vorzustellen. Andererseits entkräftet er Argumente, die gegen eine vegane Ernährung sprechen, wenn sie wissenschaftlich nicht haltbar sind. Das Buch bietet wissenschaftlich fundierte, auf den Punkt gebrachte Argumentationen, die in Diskussionen mit besorgen Familienmitgliedern ebenso helfen können wie auch im Schlagabtausch mit schlecht informierten Fachpersonen, die die vegane Ernährung pauschal als ungesund verurteilen. Selbst nach vielen Jahren veganer Ernährung fand ich «Vegan-Klischee ade!» sehr spannend.

Aus diesen Gründen kann ich «Vegan-Klischee ade!» klar als Leselektüre empfehlen: Sowohl für vegan lebende Personen – ob Neuling oder alter Hase – als auch nicht-vegan lebende Personen. Das Buch beleuchtet verständlich die Grundlagen der ausgewogenen veganen Ernährung.

Niko Rittenau: «Vegan-Klischee ade! Wissenschaftliche Antworten auf kritische Fragen zu veganer Ernährung», Ventil Verlag UG, Mainz 2018.

Die Rezension beruht auf der 1. Auflage 2018.

Mitglied werden

Wusstest du, dass sich die Vegane Gesellschaft Schweiz aus Spenden und Mitgliedschaften finanziert?
Unterstütze uns noch heute mit einer Mitgliedschaft und hilf uns, den Veganismus in der Schweiz mit professioneller Öffentlichkeit-sarbeit und spannenden Projekten zu fördern!

Noch keine Kommentare

guest