Kommt die «Labormilch» noch vor dem «Laborfleisch»?
Bereits 2021 soll es in Europa vegane Kuhmilch zu kaufen geben. Sie ist praktisch identisch mit der herkömmlichen. Steht die vegane Food-Revolution kurz bevor? Gastbloggerin Justine hat sich schlau gemacht.
Bereits unzählige Hersteller haben in den letzten Jahren begonnen, pflanzenbasierte Milch zu produzieren. Ob Hafermilch, Mandelmilch, Sojamilch oder einer der vielen anderen Sorten: Es ist für jeden Geschmack etwas dabei. Die Milchalternativen haben sich mittlerweile etabliert, sie sie setzen hierzulande jährlich rund 7,5 Millionen um. Nun steht der nächste Schritt bevor – die vegane Milch 2.0 soll zu 100% identisch sein mit Kuhmilch – nur eben nicht von der Kuh kommen.
Aus was ist diese Milch?
Die Idee hat ihren Ursprung beim Start-Up Perfect Day. Die Hersteller Ryan Pandya und Perumal Gandhi, beide 29 Jahre alt, haben eine sogenannte Molken-Mikroflora entwickelt. Zusammen mit natürlichen Rohstoffen wie Zucker gärt diese – ähnlich wie Bier oder Sauerkraut – und stellt dabei Casein und Molkenprotein her. Im Unterschied zu pflanzenbasierter Milch enthält die Milch von Perfect Day also dieselben Eiweisse.
Gestartet wurde mit einer natürlichen Art von Mikroflora, welche bekannt dafür ist, grosse Mengen Protein in der Nahrung zu produzieren. Mittels Biotechnik wurde der Bauplan dieser Flora so verändert, dass sie Zucker fermentieren und echtes Milchprotein herstellen kann. Dieser Bauplan entspricht exakt demjenigen, welcher in der DNA von Kühen für die Herstellung von Milchproteinen benutzt wird.
Die Proteine von Perfect Day sind somit komplett vegan. Aktuell werden Käse, Joghurt und Eiscreme hergestellt, die laut Angaben der ersten Tester*innen genau wie Kuhmilch-Produkte schmecken sollen.
Der Bagel-Moment
Die beiden Entwickler, seit ihren Teenager-Jahren Vegetarier, sind zwar an völlig verschiedenen Orten der Welt aufgewachsen, entdeckten bei ihrem ersten Zusammentreffen im Jahr 2014 aber viele Parallelen. Als sie genauer darüber nachdachten, weshalb sie sich für die vegetarische Ernährung entschieden hatten, merkten sie dass diese Gründe eigentlich auch gegen Milch und Eier und weitere Tierprodukte sprachen. Mit diesem Wissen entschieden sich die beiden für die vegane Ernährung und damit gegen ihre so geliebten Milchprodukte.
Es folgte der «Bagel-Moment»: Ryan, damals bereits Biomediziner, kaufte sich einen veganen Bagel. Dieser tropfende vegane Frischkäse darin stellte sich als grosse Enttäuschung heraus. Aber er war der Auslöser für die Suche nach einer guten Alternative für vegane Milchprodukte. Ryan und Pandya entdeckten bald darauf das Geheimnis der Fermentation von Milchproteinen und die Entwicklung von Perfect Day nahm ihren Lauf.
Nicht die nächste grosse Milchmarke
Den Namen Perfect Day wählten sie, nachdem sie eine Studie gelesen hatten, in der Milchkühen verschiedene Lieder vorgespielt wurden. Dabei stellte sich heraus, dass Kühe 4% produktiver waren, wenn sie Lou Reeds «Perfect Day» aus dem Jahr 1972 hörten. Perfect Day möchte jedoch nicht die eigene Marke bekannt machen. Ihr Ziel ist es, dass bereits erfolgreiche Hersteller ihre Technologie übernehmen und damit vegane Produkte auf den Markt bringen. Anfragen sollen sie bereits aus aller Welt erhalten haben.
Wie geht es weiter?
Ende 2019 begannen sie damit, einen grossen Lebensmittelproduzenten zu beliefern. Es sieht also so aus, als würden 2020 die ersten Produkte in den USA verkauft werden. Der Plan sei, ab 2021 auch weltweit im grossen Stil «echte» Milchprodukte auf veganer Basis auf den Markt zu bringen.
Nebst Perfect Day tüfteln auch andere Unternehmen an Milchprodukten, so zum Beispiel New Culture. Diese arbeiten an einem authentischen veganen Mozzarella. Es gibt die Theorie, dass nur identische Produkte die Konsument*innen dazu bewegen werden, keine Tierprodukte mehr zu kaufen. In erster Linie sollen diese Produkte also die noch immer steigende globale Nachfrage nach Tierprodukten abfangen. Deshalb wird auch weltweit am sogenannten Clean Meat geforscht, also echtes Fleisch, das im Labor hergestellt wird.
Ob diese identischen veganen Produkte notwendig sind und die Konsument*innen sie akzeptieren werden, wird sich nach der Markteinführung zeigen. Man darf auf jeden Fall gespannt sein auf die Entwicklung solcher Alternativen.
Justine liebt es, vegane Produkte genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Verzicht auf Milchprodukte stellte für sie anfangs definitiv die grösste Herausforderung dar. Um ihre Begeisterung für den neu entdeckten veganen Lebensstil mit anderen zu teilen, bloggt sie ab und zu für vegan.ch.
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6 Kommentare
Seit längerer Zeit schon beobachte ich Perfect Day und stehe mit ihnen in losem Kontakt, da ich als veganer Liebhaber von Schweizer Hartkäse mich nicht mit veganem Mozzarella, Cream Cheese und Camembert ab-finden will. Diese veganen Weichkäse, die oft in hervorragender Qualität aus Cashewnüssen hergestellt wer-den, sind Frischkäse und durchlaufen keinen mehrmonatigen Reifungsprozess, wie ein Emmentaler, Greyer-zer oder Appenzeller. Für die Reifung sind Kasein-Mizellen notwendig. Soweit ich weiss, fehlt dem Perfect-Day-Kasein die typische Struktur, um Mizellen zu bilden. Es mag wohl die genaue originale Abfolge der Kase-in-Aminosäuren haben (was gentechnisch relativ einfach zu bewerkstelligen ist), aber etwas geht dann doch beim Reifungsprozess schief. Daher nennt Perfect Day sein Produkt ehrlicherweise auch Molke und nicht Kasein. Bis jetzt war es mir nicht möglich, mehrere Liter Perfect-Day-Milch zu erwerben, um sie in einer loka-len Molkerei in einem traditionellen Schweizer Käseverfahren zu testen. Auch habe ich gehört, dass es in den USA nicht gelungen sei, aus Perfect-Day-Milch einen Hartkäse zu produzieren. Deshalb macht Perfect Day daraus nun Eiscreme und Mozzarella. Frage an Justine: A) Was weisst Du über Perfect-Day-Hartkäse? B) Siehst Du eine Möglichkeit, von Perfect Day etwa 50 L Test-Milch in die Schweiz zu importieren?
Lieber Rolf
Ich antworte dir stellvertretend für unsere Gastblogger*innen. Du scheinst ja bereits sehr gut über Perfect Day und deren Produkte informiert zu sein. Perfect Day geht ziemlich geheimnisvoll mit ihren Plänen um, bezüglich Hartkäse wissen wir leider auch nicht mehr. Die neusten Informationen sind, dass Ende April 2020 die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA das Protein β-Lactoglobulin – welches Perfect Day für seine mikroflorabasierten Produkte verwendet – nach 10 Monaten als sicher anerkannt hat. In den nächsten Monaten soll Perfect Day bekannt geben, mit welchem grossen Hersteller sie zusammenarbeiten werden, um erste Produkte für Konsument*innen herzustellen (Die Glacé war ja ein Testlauf).
In den FAQs auf ihrer Webseite steht, man soll sie doch anschreiben, wenn man aus ihren Produkten etwas entwickeln möchte. Vielleicht kommst du ja so irgendwie an eine Testmenge – ansonsten heisst es wohl abwarten.🙂
Herzliche Grüsse
Anja
Liebe Anja. Besten Dank für Deine Antwort. Jährlich schreibe ich Perfect Day an und jährlich bekomme ich eine hinhaltende Antwort von der PR-Beauftragten und nicht von den Forschern. Du nennst es „ziemlich geheimnisvoll“ und wahrscheinlich hast Du Recht. Und wahrscheinlich kann man aus beta-Lactoglobulin keinen Hartkäse machen. Da fragt man sich schon, für was dieser grosse Laboraufwand sein soll; denn für veganes Eiscrem ( = Fett + Zucker + Aroma) brauche ich keine tieridentischen Proteine.
Wau meeeeeega👏 endlich gibt es für nemanden mehr eine Ausrede….weil sie Käse so vermissen oder „mir schmecken die Alternativen einfach nicht“
Bin nur gespannt auf die Gesundheitlichen Auswirkungen. Denn bei mir ist es 100% klar seit 7 Jahren ohne Milch und Käse = keine Migräne mehr! Vorher hatte ich zuletzt fast wöchentlich! eine Anfall und den nicht zu knapp! Und meine Finger-Gelenke spüre ich kaum noch wo ich vorher oft Schmerzen hatte.
Aber die Hormone und Antibiotika würden dann ja wenigstens auch wegfallen.
Aber, da ich aus ethischen Gründen vegan lebe und nicht aus Gesundheitlichen Gründen ( obwohl ich das durchaus als Bonus schätze 😉)
Kann ich nur sagen egal, Hauptsache die Tiere werden in Ruhe gelassen und der Umwelt tuts gut. Win win würde ich sagen.👍
Oje, hier kommt es wieder, das Kästlidenken … der blinde Ethusiasmus, der aufkommt, wenn ein schöner Vorteil winkt. Dabei hat doch Veganismus mit Respekt zu tun: Respekt für die Tiere, für die Umwelt und auch für einem selbst. Gentechnologie wie sie heute betrieben wird hat nichts mit Respekt zu tun, sondern mit kurzsichtiger Neugier, mit Karrieren und vor allem mit Macht, ökonomische und politische Macht. Wer glaubt, dass es ok ist sich bezüglich Gentech-Anwendungen Rosinen rauszupicken, zu sagen „aber für meine Intention ist es doch voll ok“ macht sich etwas vor. Wir sehen jetzt schon wieviel Macht die Konzerne entwickeln, die auf irgendeine Weise Gentechnologie in Profit umsetzen können – bezüglich Pflanzen und nun immer mehr auch bezüglich Tieren. Dieser Manipulationswahn ist pervers und für mich der Inbegriff von Respektlosigkeit. Von den militärischen Anwendungen will ich gar nicht erst beginnen. Was wird alles auf uns zukommen, wenn dieses Denken, diese Verfahren auf den Menschen angewandt werden? Gerade war in der WOZ diesbezüglich ein sehr lesenswerter Artikel (https://www.woz.ch/2018/zukunft-der-menschheit/genhacking-oder-untergang). Eine vegane Lebensweise sollte kein Kästlidenken sein, kein „für mich ist alles ok, solange es vegan ist – die Konsequenzen interessieren mich nicht“. Das hat nichts mit Respekt zu tun. Vegane Alternativen sind grundsätzlich toll und sehr hilfreich. Aber wir müssen über den eigenen Vorteil, über den eigenen Gluscht hinausdenken und die Konsequenzen unseres Konsums bedenken – sonst sind wir nicht besser als Fleischesser.
(Das Produkt selber enthält anscheinend keine gentechnisch veränderte Substanzen, aber der Herstellungsprozess beinhaltet gentechnische Verfahren)
Also ich habe die gleichen Bedenken wie James. Was bedeutet „Mittels Biotechnik wurde der Bauplan dieser Flora so verändert, dass sie Zucker fermentieren und echtes Milchprotein herstellen kann.“ ?
Wird hier Biotechnik als Synonym für Gentechnik verwendet? Und ist es dann okay? So toll das ganze schmecken soll, ist hier für mich die Grenze.