23. Mai 2025

Interview mit Rafi Neuburger, Gründungsmitglied und Präsident der Veganen Gesellschaft Schweiz

Nach 15 Jahren Engagement für eine vegane Zukunft hat sich die Vegane Gesellschaft Schweiz im Mai 2025 aufgelöst. Präsident und Mitgründer Rafi Neuburger spricht über die finanziellen und strukturellen Gründe hinter diesem Schritt und warum die wachsende Sichtbarkeit der veganen Lebensweise zuletzt ins Stocken geraten ist.

Die Vegane Schweiz hat sich per Entscheid der Mitgliederversammlung am 14. Mai 2025 nach 15 Jahren aufgelöst. Wie kam es dazu?

Es sind eine Reihe von Faktoren dafür verantwortlich. An erster Stelle stehen die finanziellen Aspekte. Die Ausgaben und Einnahmen entwickelten sich immer weiter auseinander. Leider reicht dieser Grund schon aus, um eine Organisation auflösen zu müssen. Die Schieflage setzt sich aus folgenden Elementen zusammen. Wir hatten uns strategisch auf drei Pfeiler fokussiert für die Generierung von genügend Einnahmen. Ein Pfeiler waren die Unternehmen, von denen wir uns mit Mitgliedschaften, Kooperationen und Sponsorings Einnahmen erhofften. Des weiteren wollten wir uns natürlich zu einem grossen Teil durch klassische Mitgliederbeiträge und Spendeneinnahmen finanzieren. Und zuletzt halt auch durch wenige Grosspenden, die für ein ausgeglichenes Budget gesorgt hatten. Letztere sollten als Starthilfe dienen, wurden aber zunehmend zum Rettungsschirm für das Budget.

Wieso konnte keine stabile Basis für einen langfristigen Fortbestand der Organisation geschaffen werden?

Die Unsicherheit und der damit zusammenhängende Leidensdruck war nicht länger tragbar. Es konnten keine finanziell tragbaren Perspektiven für die Entwicklung unserer Organisation skizziert werden. Die letzten Jahre waren bereits geprägt von Versuchen und Adaptionen. Wir sind leider an einen Punkt gekommen, an dem wir eine Fortführung nicht mehr verantworten können. Es war zunehmend unrealistisch, dass wir jemals genügend Einnahmen generieren können, um den Betrieb so zu führen, wie es dem Auftrag und den Zielen angemessen gewesen wäre.

Wäre eine Reduktion des Aufwandes keine Option gewesen?

Wir haben über die Jahre immer wieder unsere Strategie und die Ziele sowie die Strukturen evaluiert und adaptiert, um effektiver wirken zu können. Wir haben in den 15 Jahren verschiedenste Projekte geführt und ausprobiert. Darunter waren aufwendige Anlässe wie die Vegana oder die vegane Sonderausstellung an der Gourmessa, aber auch viele kleinere Community-Events wie Potlucks, Stammtische oder Sommerfeste und natürlich die alljährlichen Weltvegantags-Feiern. Eine Zeit lang hatten wir ja auch ein eigenes Print-Magazin. Wir waren auch immer bemüht, uns zu vernetzen mit lokalen Vereinen und Initiativen. Wir hatten zum Beispiel auch ein pfannenfertiges Konzept für ein grosses Vegan-Symposium in der Schublade. An Ideen hat es nie gemangelt, aber an der Tragbarkeit. Die letzten grossen Projekte waren der Vegipass, die Swiss Vegan Awards und der Veganuary. Da wir in den Jahren viel Erfahrungen gesammelt haben zum Aufwand dieser Projekte, war es keine valable Alternative, diese auf kleinerer Flamme zu führen. Auch die Option wieder vermehrt auf Freiwilligenarbeit zu setzen, haben wir nicht als zielführend für die Erreichung unserer Vereinsziele gesehen. Die Ausrichtung und Tätigkeiten bedingen eine professionell geführte Organisation mit Geschäftsstelle und Angestellten. Diese komplexe Arbeit kann nicht im Ehrenamt gemacht werden.

Kannst du etwas zur Entwicklung des Vereins sagen?

In den 15 Jahren hat sich die VGS von einem kleinen, freiwillig geführten Verein zu einer Organisation mit bis zu einem Dutzend Mitarbeitenden entwickelt. Die Herausforderungen in diesem Wachstums- und Professionalisierungsbereich waren hoch. Mit vereinten Kräften, insbesondere auch von den ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern, taten wir unser Bestes, diesen gerecht zu werden. Auch von den Mitarbeitenden wurde viel abverlangt. Unser Lohnniveau war bis zuletzt vergleichbar tief gelegen.

Zudem setzten wir uns mit dem Thema ja mit einem der grössten und akutesten Problemen der Welt auseinander – die grausame und unnötige Ausbeutung von fühlenden Lebewesen und damit die Verantwortung, die jeder und jede mit seinem Konsum dafür trägt. Das Thema ist also vom Grundsatz her sehr anspruchsvoll, kontrovers und in einer Nische positioniert.

Der Entscheid hat bei vielen Unverständnis und Unmut ausgelöst. Wie seid ihr damit umgegangen?

Wir haben versucht, so offen wie möglich die Situation darzulegen. Für viele war es ein grosser Schock, machte doch die Organisation gegen aussen einen stabilen und aktiven Eindruck. Wir haben den Entscheid den Mitgliedern die Auflösung vorzuschlagen, zwar sehr kurzfristig kommuniziert. Er ist jedoch in den letzten Monaten stetig gereift und war alles andere als einfach. Wir wollten es lange gar nicht wahrhaben und taten uns damit sehr schwer. Als wir jedoch die Zahlen rein rational betrachtet haben und als aussichtslos einschätzen mussten, haben wir die Reissleine ziehen müssen. Die deutliche Zustimmung zur Auflösung der Mitglieder an der ausserordentlichen Mitgliederversammlung vom 14. Mai hat uns in dem Sinne den Rücken gestärkt, dass dies der korrekte, wenn auch harte, Entscheid war.

Die Schweiz ist relativ klein und es gibt viele Vereine, die sich um das Thema Ernährung, Tier- oder Umweltschutz kümmern. Wie habt ihr da eure Rolle gesehen?

Grundsätzlich ist die Vielfalt an Organisationen zu diesem Thema sehr wünschenswert. Es braucht für diese Themen spezialisierte Organisationen die das Fachwissen und das Netzwerk haben, gezielt daran zu arbeiten. Die Zivilgesellschaft ist in der Schweiz stark verankert und übernimmt wichtige Aufgaben, die von der Regierung nicht abgedeckt werden. Die Pluralität ist grundsätzlich wünschenswert. Die Schweiz ist jedoch auch vergleichbar klein und der Reach entsprechend begrenzt. Das heisst man kommt schnell in eine Konkurrenzsituation, gerade in einem Nischen-Thema wie dem unseren. Durch unser Verschwinden werden aber auch Kräfte und Ressourcen frei für etablierte Organisationen die sich weiterhin diesen Themen widmen.

Wie geht es für den Verein jetzt weiter?

Wir sind momentan daran alle operativen Tätigkeiten herunterzufahren und die Projekte einem Ende zuzuführen oder wo möglich für eine Fortführung zu übergeben. Das betrifft insbesondere die Swiss Vegan Awards, den Veganuary und den Vegipass. Genaueres kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesagt werden, da wir momentan intensiv daran arbeiten die Optionen auszuloten.

Wo steht die vegane Lebensweise heute aus deiner Sicht?

Vegan ist heute ein bekannter Begriff. Er scheint mir jedoch nach einer zwischenzeitlichen Entspannung zur Zeit auf einem etwas kontroversen Niveau zu stagnieren. Wir hatten in der Pandemie enormen Zulauf, der sich aber nicht als nachhaltig erwiesen hat. Ich vermute, es ist heute weniger zeitgemäss Mitglied bei einem Verein zu sein, gerade bei unserer eher jüngeren Zielgruppe. Vielleicht hätten wir uns stärker bemühen müssen aufzuzeigen, was eine Mitgliedschaft bewirkt, nämlich, dass damit der Veganismus gefördert wird und damit Tier- und Umweltschutz betrieben wird. Das ist jedoch sehr abstrakt und es ist schwer mit dem Thema den konkreten Impact als Anreiz für die Unterstützung auszuweisen. Der Begriff ist in den 15 Jahren unseres Wirkens viel bekannter geworden. Es gibt jedoch noch viel zu tun, um die vegane Lebensweise als Grundlage für einen nachhaltigen und fairen Konsum zu etablieren und ihn aus dieser kontroversen Ecke wieder herauszuholen, wo er sich zur Zeit immer noch befindet.

Wie könnte die Entwicklung aus deiner Sicht weitergehen?

Wir erleben zur Zeit, dass eine Menge explizit vegane Unternehmen und Projekte, es schwer haben und zum Teil bereits eingegangen sind. Die vegane Produktvielfalt nimmt zwar zu, aber der Absatz stagniert. Tolle Produkte, wie die vegane Ovomaltine oder das KitKat, sind inzwischen auch wieder verschwunden. Es findet eine Konzentrierung statt bei den grossen, meistens nicht primär veganen Unternehmen. Dies leider oft auf Kosten der Kleinen, welche Pionierarbeit geleistet haben. Für einen grossen Schift im Konsumverhalten zu lasten von Tierprodukten braucht es noch viel Arbeit, für eine Veränderung zur Einstellung woher und auf wessen Kosten unsere Lebensmittel hergestellt werden, noch viel mehr. Ich hoffe, dass die Entwicklung die auch von der VGS angestossen wurde aber doch stetig weiter geht und die Argumente für den Tierproduktekonsum weiter schwinden.

Was hast du persönlich noch vor?

Ich muss zugeben, die VGS hinterlässt schon ein sehr grosses Loch bei mir persönlich – einerseits emotional, aber andererseits werden damit auch erhebliche Ressourcen frei. Ich sehe mich in meinem Verständnis von Menschsein nach wie vor in der Pflicht, möglichst viel Leid auf der Welt zu verhindern und meine Privilegien zum Wohle anderer einzusetzen. Ich werde mich weiterhin für eine friedvollere Beziehung zu unseren Mitlebewesen einsetzen. Sei es durch Engagement für eine Beeinflussung des Konsums, die Vergrösserung des Angebots von Alternativen zu Tierprodukten oder die weitere Aufklärung zu diesem wichtigen Thema.

Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die in diesen Jahren bei der VGS mitgewirkt haben. Sei es als Gründungsmitglied, im Vorstand, als Mitarbeitende und natürlich als Mitglied, Freiwillige und Spender*Innen oder einfach als Follower*In oder Fan. Es war eine anstrengende aber hoffnungsvolle Zeit mitzuerleben, wie viele von euch uns unterstützt und die gemeinsamen Ziele verfolgt haben. Ich habe fest den Glauben, dass dadurch die Welt gerade für jene, die es dringend nötig haben, ein bisschen besser geworden ist.