«Nahezu kein Arzt kennt sich fundiert mit Ernährung aus»

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  2. Du bestimmst wohin die vegane Reise geht! 
  3. Du bekommst zur Begrüssung unser begehrtes Vegan-Welcome-Päckli. 

The time is now, sei dabei!

Im August berichtete The Washington Post über den Missstand, dass ärztliches Fachpersonal bei Ernährungsfragen noch immer Anlaufstelle Nummer 1 sind, obwohl die Ernährungswissenschaft im Medizinstudium eine untergeordnete Rolle spielt. Das verhält sich in der Schweiz gleich.

Man sollte annehmen, dass Personen im ärztlichen Dienst sich dieses Mankos bewusst sind und sich entweder weiterbilden oder wenigstens darauf verzichten, ihre Patienten und Patientinnen diesbezüglich zu beraten. Nichts dergleichen passiert, wie wir wissen. Gerade wenn Vegane sich – aus welchen Gründen auch immer – an Ärzte wenden, mischen diese sich in Ernährungsfragen gerne ein. Auf der Basis von Vorurteilen wird dann jeweils von veganer Ernährung abgeraten, davor gewarnt und spätestens wenn es um vegane Kinderernährung geht, fliegen verbal schon mal die Fetzen. Die Vegane Gesellschaft Schweiz wird häufig nach veganoffenen medizinischen Anlaufstellen gefragt, von Menschen, die entsprechende schlechte Erfahrungen mit ihren Hausärzten hatten.

Seit wenigen Monaten können wir endlich mit einer Adresse dienen: VegMedizin. Wir haben Dr. med. Alexander Walz und Ernährungsberaterin Karin Hangartner von VegMedizin ein paar Fragen gestellt zu der Problematik und zu ihrer neu geschaffenen Abhilfe.

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Wann und wie ist die Idee von VegMedizin entstanden?

VegMedizin: Die Idee kam von veganen Patienten, die von ihren Ärzten wegen ihrer veganen Ernährung vorverurteilt wurden und dadurch auch medizinisch schlecht behandelt wurden. In einem Fall wurde den Eltern sogar mit einer Gefährdungsmeldung gedroht, weil sie ihr Kind vegan ernährten, obwohl sie dies überaus gewissenhaft taten und obwohl inzwischen etliche Studien klar zeigen, dass eine vegane Ernährung in jedem Lebensabschnitt nicht nur möglich ist, sondern sogar gesundheitliche Vorteile hat. Diese Patienten irrten dann durch die ganze Schweiz, um an Ärzte zu gelangen, welche offen für vegane Ernährung sind. Leider gibt es davon nicht allzu viele und so entstand die Idee, die geografischen Distanzen durch Telemedizin zu überbrücken.

Unser Anspruch dabei ist höchste medizinische Qualität unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse unabhängig von Interessen der Pharmaindustrie. Ich selbst, Dr. med. Alexander Walz, bin als leitender Arzt an einem Kantonsspital für die gesamte stationäre und Notfall-Versorgung der medizinischen Patienten zuständig, Karin Hangartner leitet die Ernährungsberatung an einem anderen Spital, wir legen also Wert darauf, dass alle Mitarbeiter im Team sehr viel praktische Erfahrung im normalen Medizin-Alltag mitbringen. Zudem sollen alle bei vegmedizin.ch beziehbaren Leistungen für jeden erschwinglich sein, indem wir über die Grundversicherung abrechnen können. Was wir im Moment rein logistisch noch nicht bieten können, ist eine ärztliche Unterstützung bei dringenden Notfällen.

Was umfasst das Angebot von VegMedizin?

VegMedizin: Am Besten informiert man sich ausführlich auf unserer Webseite vegmedizin.ch. Kurz gesagt sind wir ein vollwertiges Ärztezentrum und können reguläre Sprechstunden anbieten, aber auch Zweitmeinungen. Wenn sinnvoll können wir schweizweit in der Nähe des Wohnortes Blutuntersuchungen oder bildgebende Untersuchungen veranlassen, die dann aber von uns ausgewertet werden. Wir können beraten zu Medikamenten und im Bedarfsfall auch schweizweit innerhalb 24 Stunden versandkostenfrei direkt nach Hause liefern lassen. Darüber hinaus bieten wir auch sehr umfangreiche Beratungen zu Impfungen, wobei hier im Gegensatz zur klassischen Arztberatung durchaus kritisch informiert wird, aber zugleich auch die wertvollen Aspekte genannt werden, so dass man sich selbst ein fundiertes Urteil bilden kann. Wer eine Reise ins Ausland plant und sich über sinnvolle Vorbereitungen (z.B. Malaria, Gelbfieber, Thrombosen, etc.) beraten lassen möchte, findet ebenfalls eine Beratung durch einen Tropenmediziner. Das Angebot der Ernährungsberatung umfasst alle Fragen zum Thema vegetarischer/veganer Ernährung. Dies kann zum Beispiel die ausreichende Nährstoffzufuhr betreffen. Aber auch Fragen zu besonderen Situationen, wie Schwangerschaft, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder bei Krankheit sind sehr beliebt. Natürlich sind ebenfalls Menschen, welche noch in der Umstellung sind, herzlich willkommen.
Und wir haben eine Kooperation mit einem veganen Hausarzt in St. Gallen, über den auch die Teilnahme am Hausarztmodell verschiedener Krankenversicherungen möglich ist, um Prämien zu sparen.

Wohin geht die Reise? Was ist künftig noch geplant?

VegMedizin: An Ideen mangelt es nicht, aber wir haben jetzt in den Aufbau und den Betrieb sehr viel investieren müssen, jetzt muss zunächst einmal das bestehende Angebot angenommen werden, damit eine Fortführung möglich ist. Gerne würden wir unser Team und damit Angebot noch erweitern um einen Kinderarzt, Hautarzt und Psychotherapeuten. Wenn grosser Bedarf da ist, können wir uns vorstellen auch eine 24 Stunden-Notruf-Hotline anzubieten. Da aber eine vegane Ernährung das Risiko für die häufigsten Todesursachen wie Herzkreislauf-Erkrankungen und Krebserkrankungen und auch viele andere Krankheiten reduziert, ist der Bedarf an medizinischer Versorgung unter Veggies deutlich geringer. Daher sollten wir vielleicht eher über ein Angebot für Fleischesser mit Herzinfarkt, Potenzstörungen und Krebs nachdenken und statt bittere Pillen eine gesunde pflanzliche Ernährung empfehlen, das wäre preiswerter und effektiver 😉
Wenn gewünscht, können wir auch den Versand von Nahrungsergänzungen (z.B. Vitamin B12-Präparaten) organisieren. Wir planen zudem Fortbildungen für Ärzte zu Themen rund um eine vegetarische/vegane Ernährung, da hier erhebliche Wissenslücken bestehen.

Wie ist das Feedback zu VegMedizin bisher seitens PatientInnen ?

VegMedizin: Durchwegs gut. Gerade erst konnten wir einer Patientin helfen, die wegen starker Müdigkeit zu ihrem Arzt ging, der eine Blutarmut wegen Eisenmangel feststellte und ihr für ihn lukrative Eiseninfusionen verordnete und ihr vorwarf, das käme nur von ihrer veganen Ernährung. Als sie zu uns kam, sahen wir nicht nur, dass es nicht an der Ernährung gelegen haben kann, sondern fanden in der Magenspiegelung auch einen blutenden Polypen, der zur Blutarmut und Eisenverlust geführt hatte. Dieser wurde zum Glück rechtzeitig entdeckt, bevor es zu einer bösartigen Erkrankung gekommen wäre. Diese Erfahrung zeigt sich leider immer wieder: Patienten werden mit den Vorurteilen ihrer Ärzte konfrontiert und erhalten deshalb keine kompetente medizinische Betreuung.

Und seitens BerufskollegInnen ?

VegMedizin: Bis jetzt keine negativen. Wir haben hingegen schon etliche Registrierungen von Arztkollegen für die Fortbildungen zu Themen rund um eine vegetarische/vegane Ernährung.

Welche Ernährungsweise wird von VegMedizin stärker befürwortet? Die vegane oder die vegetarische? Und warum?

VegMedizin: Unser Ziel ist, individuell auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen einzugehen und die Fragen fachlich kompetent zu beantworten, egal ob er sich vegetarisch oder vegan ernährt. Wir selbst leben, so gut es geht, vegan und legen auch Wert darauf, dass alle neuen Mitarbeiter vegan leben, damit auch die notwendige Selbsterfahrung vorhanden ist.

Ein Artikel in The Washington Post problematisiert, dass in der USA die Ernährungswissenschaft im Medizinstudium eine untergeordnete Rolle spielt. 14% aller befragten Ärzte und Ärztinnen fühlten sich nicht ausreichend geschult, in Ernährungsfragen ausreichend kompetent zu beraten. Können Sie das für Deutschland/Schweiz bestätigen? Befasst sich das Medizinstudium zuwenig mit der Ernährung?

VegMedizin: Wir halten 14% für erheblich untertrieben. Nahezu kein Arzt kennt sich fundiert mit Ernährung aus, nicht einmal im Spital, wo tagtäglich künstliche Ernährungen eingesetzt werden. Häufig haben sich die Ärzte irgendein Vorgehen angewöhnt, aber die wenigstens sind in der Lage beispielsweise die Symptome eines Vitamin B1-Mangels aufgrund Patientenangaben zu erkennen, richtig zu diagnostizieren und dann gezielt zu behandeln. Leider haben viele Ärzte immer noch die Angaben aus veralteten Lehrbüchern im Kopf, in denen noch steht, eine vegetarische oder vegane Ernährung sei gefährlich. Es ist auch noch nicht so lange her, da stand in den Lehrbüchern auch, dass Homosexualität eine psychiatrische Erkrankung ist, die behandlungsbedürftig sei.

Würden Sie ein Beratungsverbot in Ernährungsfragen für Ärzte und Ärztinnen ohne entsprechende Weiterbildung begrüssen?

VegMedizin: Die Ärzte, die auf diesem Wissensstand stehen geblieben sind, sind gefährlich für Patienten. Leider ist Qualität in der Medizin sehr schwer messbar, erst recht als Patient. Meist weiss man erst, dass sein Arzt nichts taugte, wenn es zu spät ist. Wir können nur jedem Patienten empfehlen, seinen Ärzten kritische Fragen zu stellen, bevor man in eine Behandlung einwilligt. Bereits jetzt ist es so, dass nur besonders qualifizierte Ernährungsberaterinnen eine Ernährungsberatung über die Krankenkassen abrechnen können, das ist zwar kein Verbot, aber kommt dem nahe. Leider ist Inkompetenz nur eines der Probleme in der medizinischen Versorgung, ein mindestens ebenso grosses ist, dass die Mehrheit der Ärzte direkt oder indirekt von der Pharmaindustrie beeinflusst wird und daraus finanzielle Vorteile erzielt und deshalb die Patienten nicht unabhängig berät.

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Kommentare

3 Antworten

  1. Halleluja! Vielen Dank für den Artikel. Als ich vor ein paar Tagen im Zug unterwegs war sah ich auf die neben mir liegende Ausgabe von Blickamabend…..??
    „BEIM KÄSE MACHT FETT AUCH FIT“ US Forscher ( wer immer das auch war der die Studie angeblich gemacht hat….sollen herausgefunden haben, dass Lipoprotein in vollfett Käse dank seiner Auswirkung auf den Cholesterinspiegel vor Herz-Kreislauf-Problemn schützen?!?!? Um Himmelswillen! Da braucht es dringendst gute Fachstellen an die man sich wenden kann.
    Danke danke danke!!

  2. Bin dipl.Heilpraktikerin in Zofingen und langjährige Veganerin.Biete schon länger Ernährungsberatung für Vegetarier / Verganer /in in meiner Praxis an.
    Es gibt viel zu wenig fundierte Beratungen in der Schweiz.

  3. Danke für den super Artikel (auch wenn ich mir all dessen bereits bewusst war)
    Schön dass es nun endlich eine Stelle gibt an die wir Veggies uns wenden können, ohne fürchten zu müssen Vorurteilen zum Opfer zu fallen oder uns rechtfertigen und verteidigen zu müssen. 🙂

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